24. August 2015
Als wir heute Morgen von der Terrasse aufs Meer hinaus schauten, war der Himmel komplett bedeckt und es nieselte leicht. Das hätte man schon als schlechtes Omen für den bevorstehenden Tag interpretieren können. Aber noch waren wir guter Dinge und überlegten uns während des Frühstücks, die Innenstadt mal genauer unter die Lupe zu nehmen. Greenmarket Square, Bo-Kaap, Long Street und der Company’s Garden wollen schließlich auch gesehen werden.
Auf der Burg Street fanden wir sehr zentral ein Parkhaus (50 Rand), wo wir unseren Wagen abstellten. Von hier aus spazierten wir entlang der Wale Street zum Bo-Kaap, dem farbenfrohen Malaienviertel. Es hatte aufgehört zu nieseln, war windstill und angenehm. Da konnte man über den tristen Himmel glatt hinwegsehen. Wir schauten uns die schönen, bunten Häuser an; die hübscheste Ecke fanden wir auf der Chiappini Street zwischen der Wale Street und der Hout Street.
Über die Dorp Street gelangten wir anschließend zur beliebten Long Street, mit ihren schönen viktorianischen Häusern, in denen sich Restaurants, trendige Kneipen, Souvenirgeschäfte und Antiquitätenläden befinden. Abends ist hier wohl richtig was los aber jetzt, zur Mittagszeit, war es eher ruhig und beschaulich. Lediglich ein paar Geschäfte hatten geöffnet. In einem Souvenirladen erstand Frank eine günstige Sonnenbrille – seine hatte den Hinflug nicht überlebt – und einen Kühlschrankmagneten mit Townshipmotiv.
Am Ende der Long Street angekommen holte ich mir bei McDonalds einen Milchshake. Dann kehrten wir um und liefen die Long Street auf der anderen Straßenseite zurück. Als wir an einem Geldautomaten vorbeikamen, entschlossen wir uns spontan, ein bisschen Bargeld abzuheben. Wahrscheinlich war es relativ naiv, das ausgerechnet mitten in der Innenstadt zu tun, aber es bot sich gerade an, und viel war hier ja auch nicht los. Wir dachten jedenfalls an nichts Böses und gingen zu dem Automaten, der sich sogar in einer etwas abgeschirmten kleinen Nische befand. Frank versuchte seine Kreditkarte in den dafür vorgesehenen Schlitz zu stecken und stellte verwundert fest, dass das nicht funktionierte. Er probierte es noch mehrmals aus und war vollkommen überrumpelt, als plötzlich ein Typ neben ihm auftauchte, wild auf ihn einsprach und ihm schwupps die Karte aus der Hand genommen hatte. Der Kerl machte sich mit der Karte an dem Schlitz zu schaffen, und es schien ihm auch tatsächlich zu gelingen, sie reinzuschieben. Dummerweise waren die Texte auf dem Bildschirm in Afrikaans. Wir verstanden überhaupt nicht, was wir nun als nächstes tun mussten. Mir wurde es immer unwohler zumute, und auch Frank wollte eigentlich nur noch seine Karte zurück haben und hier weg. Das war doch alles höchst seltsam. Aber die Karte wollte einfach nicht wieder aus dem Gerät rauskommen. Frank drückte relativ ratlos ein paar Knöpfe, da mischte sich der Mann wieder ziemlich aggressiv ein, fummelte dazwischen und drückte ebenfalls ein paar Tasten, während er in schlechtem Englisch auf uns einredete. In dem Moment meinte ich, eine Karte in seiner Hand zu sehen und raunte Frank leise zu: „Ich glaube, der hat deine Karte!“. Aber Frank war sich ziemlich sicher, dass die Karte tatsächlich im Automaten ist. Und ich war mir ja auch nicht hundertprozentig sicher, was ich da in der Hand des Mannes gesehen hatte. Auf jeden Fall bekam ich es so langsam mit der Angst zu tun, und mein Herz schlug mir bis zum Hals. Der Kerl mischte sich weiter ein und ließ sich absolut nicht abwimmeln. Frank müsse seine Pin eingeben, sonst würde die Karte nicht rauskommen, beharrte er. Keine Ahnung warum, aber Frank tippte dann tatsächlich hinter vorgehaltener Hand seine Pin ein. Nur erschien diese dann nicht in Sternchen sondern in Zahlen auf dem Bildschirm. Vermutlich war der Automat manipuliert. Während wir noch verdutzt auf den Automaten starrten, hatte der Kerl nun leichtes Spiel. Die Zahlen hatte er in Nullkommanichts abgelesen und im Kopf gespeichert. Und schon war er auf und davon. Erst jetzt wurde auch Frank klar, dass die Karte niemals im Automaten gewesen war. „Ich glaube, der hat wirklich meine Karte“, murmelte er, und während ich mich noch ärgerte, dass ich mich nicht auf mein Gefühl verlassen hatte, gab er Kniegas und rannte hinter dem Dieb her. Fassungslos trat ich mit zitternden Beinen aus der Nische und sah Frank gerade noch in einem Wahnsinnstempo über die Straße rennen und dann um die nächste Ecke abbiegen. Tausend schreckliche Bilder und Gedanken zogen durch meinen Kopf, während ich nichts tun konnte außer hier zu warten. Rasch hatte sich eine Menschentraube um mich gebildet. Alle wollten wissen, was passiert ist und redeten durcheinander auf mich ein. Schnell stellte sich heraus, dass es an diesem Bankautomaten regelmäßig zu solchen Vorfällen kommt. Eine Frau zog mich am Arm und wollte mich zur gegenüberliegenden Bank schicken um die Karte irgendwie sperren zu lassen. Aber ich wusste ja nicht mal, was es genau für eine Karte ist geschweige denn wie ich sie sperren lassen kann. Außerdem wollte ich hier nicht weggehen, bevor Frank nicht wieder zurück war. Ich hatte wirklich Angst um ihn und war sagenhaft erleichtert, als er nach einer gefühlten Ewigkeit an der Straßenecke auftauchte, an der ich ihn vor ein paar Minuten hatte verschwinden sehen. Als er mich erreichte, berichtete er, dass er den Typen fast eingeholt hätte. An der nächsten Ecke hatte dann allerdings ein Komplize in einem Auto gewartet, in das er hineinsprang, und schon waren die beiden Vollgas gebend verschwunden. Jetzt war es wahrscheinlich nur noch eine Frage von wenigen Minuten, bis die Franks Konto leerräumen würden. Schnell machten wir uns auf den Weg zur Bank auf der anderen Straßenseite und schilderten dort unser Problem. Der Bankmitarbeiter konnte uns nicht wirklich helfen, aber er suchte bereitwillig im Internet die Telefonnummer von der Karten-Sperrstelle raus, bei der Frank sogleich anrief. Im Endeffekt dauerte das aber alles viel zu lange, und wir erfuhren, dass es in den letzten paar Minuten bereits drei Abhebungen gegeben hatte. Gott sei Dank war auf der Karte, die wir nur für Urlaube und in erster Linie für Barabhebungen nutzen, ein übersichtliches Guthaben gewesen, so dass der Schaden sich in Grenzen hielt. Aber dennoch war der Schock groß und unsere Laune am Boden.
Niedergeschlagen und wie paralysiert setzten wir unseren Stadtspaziergang fort. Wir ärgerten uns über unsere Dummheit und hatten natürlich die ganze Zeit kein anderes Thema mehr. Halbherzig und ohne viel von unserer Umgebung wahrzunehmen schlenderten wir über den Greenmarket Square, einen Platz, auf dem täglich ein Flohmarkt stattfindet. Auch die St. George’s Mall, eine Fußgängerzone mit zahlreichen Shops, Ständen, Cafés und Restaurants, konnte uns heute nicht mehr begeistern. Misstrauisch beäugten wir jeden, der sich uns näherte und wiegelten brüsk jeden Versuch ab, uns in ein Gespräch zu verwickeln. Wir wollten einfach nur in Ruhe gelassen werden.
Unmotiviert liefen wir an den Houses of Parliament vorbei und streiften durch den Company’s Garden, in dem es vor Eichhörnchen, Nilgänsen und Tauben nur so wimmelte. Danach kamen wir zu dem Entschluss, dass wir genug von der Innenstadt hatten.
So machten wir uns auf den Rückweg zu unserem Auto und fuhren weiter zur V&A Waterfront. In einem der Parkhäuser fanden wir problemlos einen Parkplatz. Direkt gegenüber entdeckten wir in einem Gebäude einen Food-Market. Wir ließen uns einfach mal hineintreiben, staunten über die Vielfalt der Speisen und sogen die Gerüche in uns auf. Das Angebot umfasste afrikanische, südamerikanische, asiatische und sogar europäische Gerichte. Während wir an den Ständen vorbeischlenderten, merkten wir überrascht, dass die schlechte Stimmung immer mehr verpuffte.
Vorbei an der Alfred Mall, einer kleinen Einkaufspassage, in der sich hauptsächlich Juwelierläden, exquisite Bekleidungsgeschäfte und Kunsthandwerksshops angesiedelt haben, gelangten wir etwas später zum Victoria Wharf Shopping Centre, dem größten Einkaufszentrum an der Waterfront. Wir warfen einen kurzen Blick hinein, aber nach shoppen stand uns nun wirklich nicht der Sinn. So bummelten wir lieber entlang des Hafengeländes, bewunderten den historischen Clock Tower und das Riesenrad und freuten uns als die Sonne die Wolken zusehends verdrängte und der Tafelberg im Hintergrund immer mehr Kontur annahm. Spontan entschieden wir uns, zum Abendessen noch einmal herzukommen, denn die Restaurantauswahl war gewaltig und hier würden wir bestimmt hervorragendes Seafood bekommen.
Bevor wir zu unserem Auto zurückkehrten, erkundeten wir noch kurz den Craft Market und schauten an der Seehund-Plattform beim Two Oceans Aquarium vorbei. Dort war allerdings kaum was los: Nur eine dicke Robbe lag träge auf dem Holzsteg und döste vor sich hin.
Entlang der Küstenstraße fuhren wir – mit einem Zwischenstop am Green Point Lighthouse – zurück nach Camps Bay. Wir machten uns in unserer Unterkunft frisch, und wollten dann eigentlich noch ein bisschen relaxen. Da es aber immer sonniger wurde, zog es uns schon bald wieder nach draußen. Mit dem Auto fuhren wir die kurze Strecke nach Clifton, kletterten dort auf die Felsen am Strand und beobachteten die mächtigen, türkisfarbenen Wellen und die Surfer, die diese zu bezwingen versuchten.
Nach einer Weile kam uns die Idee, noch einmal auf den Signal Hill hinauf zu fahren. Der flache Berg schien heute nicht im Nebel zu liegen, also konnte die Sicht eigentlich nur besser als gestern Abend sein. Und tatsächlich hatten wir einen tollen Ausblick auf die Stadt und den imposanten Lion’s Head. Auf dem Tafelberg lag ein dickes Wolkentischtuch, dem man beim Hinübergleiten förmlich zuschauen konnte. Das warme Abendlicht gab der zauberhaften Stimmung den letzten Schliff, und wir konnten nur stumm da stehen und genießen. Da es hier oben auf dem Berg aber auf Dauer ziemlich windig und kalt war und meine Frisur sich so langsam verabschiedete, rissen wir uns schließlich los und fuhren noch einmal raus zur Waterfront.
Wir parkten im selben Parkhaus wie vorhin und begaben uns auf den kurzen Fußmarsch zum Harbour House, das wir uns fürs Abendessen ausgeguckt hatten. In gediegenem Ambiente saßen wir an einem kleinen Zweiertisch, der sich leider permanent im Durchzug befand. Wir bestellten eine Fischplatte für zwei, mit Leckereien wie gegrillten Langusten, Scampis, Calamaris, Muscheln und Linefish. Dazu gab es Reis, feines Gemüse und ausnahmsweise mal eine Flasche Wein. Das Essen war sehr ordentlich, doch die Scampis ließen sich nur schwer schälen und der ständige kalte Luftzug von draußen war äußerst ungemütlich und sorgte natürlich auch dafür, dass der Fisch viel zu schnell abkühlte. Die Rechnung fiel zum Ende erwartungsgemäß hoch aus. Alles in allem ist das Restaurant durchaus zu empfehlen, aber uns hätte ein gemütliches, kleines Fischlokal auf jeden Fall mehr zugesagt.
Satt und etwas verfroren drehten wir zum Abschluss noch eine Runde entlang der hübsch beleuchteten Waterfront. Lange hielten wir es jedoch nicht aus; es war einfach zu kalt. So flüchteten wir uns zu unserem Auto und düsten zurück zu unserer Herberge, wo wir uns eine schöne heiße Dusche gönnten.