Heute freuten wir uns schon sehr auf die bevorstehende 20km lange Husky-Schlittenfahrt, doch als Frank morgens auf sein Handy schaute, hatte er eine SMS vom Veranstalter bekommen, der die Tour aufgrund der eisigen Temperaturen (-40 Grad) absagte. Es gab gleichzeitig glücklicherweise das Angebot, den Ausflug am Freitag nachzuholen. Wir sollten uns ab 10 Uhr bei der Touristeninformation melden. Das war dann auch unser erster Weg, den wir nach dem Frühstück antraten. Problemlos wurden wir dort von einer netten Mitarbeiterin auf den Freitag umgebucht.
Da wir nun ganz unerwartet einen freien Tag hatten, entschlossen wir uns spontan, Langlaufskier auszuleihen und eine schöne große Runde damit zu drehen. Gespurte Loipen aller Schwierigkeitsgrade gibt es rund um Levi zu genüge. Wir marschierten gut gelaunt zum Zero Point Verleih und hielten wenig später frisch gewachste Skier, Langlaufschuhe und Stöcke in den Händen. Da ich heute vorsichtshalber 3 Paar Socken angezogen hatten, benötigte ich Schuhe in der Größe 43. Diese passten dann aber auch richtig prima. Es war nur ein Katzensprung bis zum Startpunkt der von uns ausgewählten Loipe, die zu dem uns schon bekannten Luvattumaa Eishotel führt.
Es handelt sich dabei um eine blaue Piste mit leichten Steigungen und leichtem Gefälle. Also auch für fortgeschrittene Anfänger gut machbar und mit ca. 12 Kilometern nicht allzu lang. Die ausgezeichnet präparierte und nachts zum Teil sogar beleuchtete Loipe startete im Wald und ging speziell während der ersten Hälfte viel bergauf und bergab. Uns wurde schnell richtig warm; nur meine Hände drohten mal wieder abzusterben vor Kälte. Die ersten kleineren Steigungen und Abfahrten meisterten wir problemlos und hatten viel Spaß dabei. Als etwas heimtückisch erwiesen sich lediglich die Passagen, an denen Loipe und Schneemobilpiste sich kreuzten. Hier war die Loipe nämlich üblicherweise unterbrochen, und wenn es an so einer Stelle gerade bergab ging, kamen wir so manches Mal ganz schön ins Straucheln. Ich machte einmal einen höchst eleganten Spagat; ein anderes Mal kam verlor ich komplett die Balance und plumpste so richtig schön auf den Rücken. Sofort stellten sich leichte Kopfschmerzen ein, aber ich war immer noch guter Laune und lachte über mein Missgeschick.
Als wir aus dem Wald herauskamen, war die Lichtstimmung einmalig schön. Die tief stehende Sonne tauchte alles in ein warmes, orangefarbenes Licht und der Himmel leuchtete blau über uns. Außer uns war offenbar kein Mensch unterwegs. Wahrscheinlich traute sich bei der Eiseskälte keiner vor die Tür. Wir jedenfalls genossen die Einsamkeit und Stille, die lediglich von dem Geräusch der gleitenden Skier durchbrochen wurde. Die Loipe verlief nun größtenteils schnurgerade und ohne jegliche Steigung. So macht mir persönlich Cross Country am meisten Spaß. Jeder gleitet in seinem eigenen Rhythmus dahin und hängt seinen Gedanken nach. Schließlich gelangten wir zu einem zugefrorenen See, welchen wir überqueren mussten. Sofort spürte man auf der weiten, offenen Fläche einen deutlichen Temperaturabfall.
Unsere Nasen fühlten sich taub an, und als ich mich zu Frank umdrehte, entdeckte ich einen kreisrunden weißen Fleck auf seiner Nasenspitze. „Ich glaube, du hast eine Frostbeule oder sowas an der Nase!“ sagte ich erschrocken. Frank fasste die Stelle an und meinte, dass sie sich komisch anfühlen würde. Sofort vergrub er die Nase in seinem Halstuch, und ich tat es ihm vorsichtshalber gleich. Eine Weile nachdem wir den See hinter uns gelassen hatten, erreichten wir die Luvattumaa Ice Gallery.
Wir schnallten die Skier ab und kehrten in das gemütliche Café ein, wo wir uns bei Minttu Kakao (Kakao mit hochprozentigem Minzlikör) aufwärmten. Zur Stärkung gab es dazu Pfannkuchen mit Marmelade. Da Frank das Gefühl hatte, sein Socken wäre verrutscht, zog er, um diesen zu richten, den Schuh aus. Dabei stellte er fest, dass mit dem Socken zwar alles in Ordnung, sein großer Zeh aber komplett taub war und gegen die anderen Zehen drückte. Nach etwas Massieren ging es gottseidank wieder.
Nach einer halbstündigen Pause brachen wir auf und machten uns auf den Heimweg. Wir hatten die Möglichkeit, von Luvattumaa aus die Piste weiterzufahren und in einer Schleife zurück nach Levi zu gelangen, da es allerdings schon fast 15 Uhr war, entschieden wir uns, die gleiche Strecke zurückzufahren die wir gekommen waren. Die Schleife wäre kilometermäßig viel zu lang gewesen. Mit weniger Fotostopps als auf dem Hinweg wurde uns nicht mehr kalt und wir kamen gut voran. An einer kleinen Abfahrt kollidierte ich auf meiner Spur leider mit einem Eisbrocken, der da eigentlich überhaupt nichts zu suchen hatte. Ich hatte ordentlich Schwung, sah den Klumpen kommen und wusste in dem Augenblick schon, dass das Teil mich aus der Bahn hauen wird. Und so war es dann natürlich auch. Ungebremst knallte ich auf den Steiß und anschließend auf den Rücken. Das tat mal so richtig weh und mein schon vorgeschädigter Kopf begann zu hämmern. Nachdem der erste Schmerz sich gelegt hatte, half Frank mir hoch und wir setzten unseren Weg deutlich vorsichtiger fort. An „kritischen“ Stellen schnallte ich die Skier ab und lief zu Fuß.
Langsam aber sicher waren wir richtig platt und sehnten das Ende der Strecke herbei. Als wir endlich die Abzweigung zum Ort erreichten, waren wir sehr froh. Wir gaben die Skier schnell zurück und machten uns auf den Heimweg.
Um 18.30 Uhr mussten wir schon wieder los, denn wir hatten ein 3-Gänge Dinner im Snow Village Lainio gebucht. Da es in so einem Eishotel ziemlich kalt ist, hatten wir uns schön dick angezogen und auch auf Mützen und Handschuhe nicht verzichtet. Eine weise Entscheidung, wie sich noch zeigen sollte. Abgeholt wurden wir und ein anderes Paar an der Rezeption unseres Hotels. Der Guide, Ed von Lappland Tours, war bester Laune und sagte in jedem zweiten Satz „excellent stuff“, was wir urkomisch fanden. Im draußen wartenden VW Bus saß bereits ein weiteres Pärchen, und ein Paar holten wir noch woanders ab. Wir dachten, das wäre es jetzt und waren ziemlich überrascht, als wir kurz darauf vor dem Büro von Lappland Tours hielten und aussteigen sollten.
Ein paar Meter weiter wartete bereits ein größerer Bus, doch Ed forderte uns auf, ihm ins Büro zu folgen. Dort tobte der Mob: Etliche Leute waren damit beschäftigt, Schutzoveralls anzuziehen und ihre Schuhe gegen dicke Boots zu tauschen. Sowas kannten wir bisher nur von den Schneemobiltouren. Waren wir etwa im falschen Ausflug gelandet? Frank erkundigte sich vorsichtshalber bei Ed, und es stellte sich heraus, dass es den Ausflug zum Snow Village in drei verschiedenen Varianten gab.
1. Variante war das 3-Gänge Dinner im Restaurant des Eishotels,
2. Variante war eine Übernachtung im Eishotel
3. Variante war eine Aurora Walking Tour rund um das Eishotel.
Die wärmenden Overalls waren nur für die Leute bestimmt, die den Spaziergang gebucht hatten. Wir konnten das Büro daher wieder verlassen und direkt in den Bus steigen. Als wir nach draußen kamen, waren wir wie elektrisiert: Am Himmel konnten wir zum ersten Mal kleinere Nordlichter ausmachen. In Schwaden wanderten sie gespenstisch über den Horizont und zogen uns komplett in ihren Bann. Während der 40 minütigen Busfahrt starrten wir die ganze Zeit, den Himmel absuchend, aus dem Fenster, und als wir endlich am Schneehotel ausstiegen zeigte sich genau darüber ein herrliches Polarlicht. Verzückt machte Frank ein paar Schnappschüsse. Für ausgiebige Fotos war hoffentlich später noch ausreichend Zeit.
Wir betraten das Hotel und wurden kurz darauf von der Rezeption zum Eisrestaurant geführt. Schon standen wir inmitten eines riesigen Iglus, das in ein bläuliches Licht getaucht war. Ein Teil der Eistische und –bänke gruppierte sich rund um eine Säule, die das Zentrum des Restaurants bildete und auf der eine riesige Eisbärenskulptur thronte. Weitere Tische und Bänke zogen sich an der Außenwand des Iglus entlang. Wir fanden den für uns reservierten Tisch anhand des darauf stehenden Namensschildchens und hockten uns auf die Eisbänke, deren Sitzflächen mit Rentierfell bedeckt waren.
Im ganzen Eishotel lag die Temperatur bei -7°, was sich im Vergleich zu -40° erstmal muckelig warm anhört, im Endeffekt aber doch ganz schön kalt war. Wir studierten die Menükarte und wählten jeweils aus zwei Speisen aus. Zu trinken bestellten wir einen warmen Beerensaft. An den Gläsern konnten wir wunderbar unsere Finger wärmen. Die Vorspeise kam recht zügig: Frank bekam eine Lachssuppe und ich eine rote Beete Suppe. Beides war schmackhaft, nur leider nicht mehr richtig heiß und auch kein besonderes Highlight. Als Hauptspeise hatten wir beide Rinderbraten mit Gemüse an einer dunklen Soße bestellt. Das war richtig lecker und wurde von uns mit gutem Appetit verputzt. Der Nachtisch hingegen war eine ziemlich große Enttäuschung. Mein Schokoküchlein war einfach nur zäh und süß und Franks Blaubeeren-Creme-Brulee hatte mit einer Creme Brulee wenig gemeinsam, da der Zucker einfach nur über die Creme drüber gestreut und nicht karamellisiert worden war.
Während wir auf die Gänge warteten, wurde uns immer kälter. Bei mir schmerzten die Zehen so sehr, dass ich es kaum noch aushalten konnte. Wir bestellten noch einen weiteren heißen Beerensaft und danach Kakao und Glühwein. So konnten wir wenigstens die Hände immer wieder auftauen. Als wir die Nachspeise hinter uns gebracht hatten, hielt uns nichts mehr im Restaurant. Eigentlich wollten wir direkt in den warmen Rezeptionsbereich fliehen, machten dann aber noch einen Abstecher in die hübsche Eisbar, wo uns der Kellner, der das Abendessen serviert hatte, einen Schnaps im Eis-Pinnchen aufschwatzte. Es war auf jeden Fall ein Gag, die Shots direkt aus dem Eisglas zu trinken.
Anschließend beglichen wir die saftige Getränkerechnung und besichtigten auf eigene Faust das Eishotel. Lainio beeindruckte uns noch deutlich mehr als Luvattumaa. Jedes Jahr entsteht hier aus ca. 20 Millionen Kilo Schnee und 350.000 Kilo Eis ein gigantisches Schneedorf mit ca.30 Zimmern und Suiten, einem Restaurant, einer Cocktail Bar und einer Kapelle. Die Standardzimmer empfanden wir als ziemlich langweilig, aber die Suiten waren unglaublich phantasievoll und sehr individuell dekoriert. Jede Suite schien ein eigenes Motto zu haben: in die Wände waren aufwändige, künstlerische Reliefs eingearbeitet, z.B. eine Hexe auf einem Besen oder ein durchs Weltall schwebender Astronaut. Außerdem zierten fein gearbeitete Eisskulpturen und individuell geschliffene Eisbetten die Iglu förmigen Räume. Abgerundet wurde das Ganze durch eine passende farbige Beleuchtung.
Obwohl wir sehr begeistert waren, waren wir dennoch froh, keine Übernachtung gebucht zu haben. Das wäre uns einfach zu kalt und unbequem gewesen und das Fehlen einer Toilette auf den Zimmern hätte mir in der Nacht nur Probleme bereitet. Ich glaube, wirklich romantisch schaut so eine Übernachtung nur aus der Ferne aus. Aber vielleicht täusche ich mich ja auch…
Nachdem wir uns ausgiebig umgesehen hatten, zog es uns nach draußen um nach Nordlichtern Ausschau zu halten. Schon nach kurzem Suchen konnten wir grüne Schleier über den Baumwipfeln tanzen sehen; und zwar nicht zu knapp. Das war wirklich ein fantastisches Erlebnis. Ich hielt es draußen leider nicht so lange aus, da ich einfach zu durchgefroren war, aber Frank war wie gebannt und schien die Kälte auf einmal gar nicht mehr zu spüren.
Mit seinem Mini-Stativ stapfte er durch den verschneiten Wald und suchte nach geeigneten Fotolocations. Als wir um viertel nach neun zum Bus zurück mussten, war das Polarlichtspektakel gerade in vollem Gange. Strahlenförmige, teilweise richtig breite Bänder und diffuse Schleier zogen geisterhaft über den Horizont und veränderten sich ständig. Dazu leuchteten der Vollmond und zahlreiche Sterne, wodurch der Himmel eher blau als schwarz wirkte. Es war absolut fantastisch! Nur ungern lösten wir uns von dem faszinierenden Spektakel und stiegen in den Bus, der uns bald darauf nach Levi zurückbrachte.
Kaum waren wir zurück in unserem Apartment, wurde Frank ganz unruhig und checkte ständig auf seinem Handy den „Aurora-Alarm“, der eine 60%ige Chance auf Nordlichtsichtungen in Levi versprach. Er war ganz hin und her gerissen und haderte mit sich, ob er noch einmal losziehen sollte. Eigentlich war es ihm zu kalt, und auf dem kurzen Spaziergang vom Büro des Safariveranstalters zur Unterkunft hatten wir keine Nordlichter mehr gesehen.
Letzten Endes siegte dann aber die Unruhe. Er zog sich wieder dick an, packte sein großes Stativ und machte sich auf den Weg zum nahe gelegenen Wald. Dort suchte er sich eine hübsche Lichtung, baute seine Ausrüstung auf und wartete eine Weile. Wenig später waberten auch schon die ersten grünen Schlieren über den Himmel. Voller Freude stapfte Frank durch den Schnee und machte jede Menge Fotos. Gegen halb eins nachts kam er überglücklich zurück in die Wohnung. Leider bekam ich da nicht mehr allzu viel von seinen begeisterten Erzählungen mit, da ich nach diesem ereignisreichen und anstrengenden Tag schon ziemlich fest schlief…