Dienstag 15.05.2012
Bereits von zu Hause aus hatten wir übers Internet für den heutigen Tag eine geführte “Living Desert Tour” bei Chris Nel gebucht. Die Tour sollte uns per Allradfahrzeug in die Dünen der Namibwüste führen und anschaulich vorführen, dass diese augenscheinlich unfruchtbare Gegend das zu Hause vieler kleiner Tierarten ist, die sich auf die schwierigen Lebensbedingungen in der Wüste geschickt eingestellt haben.
An der Rezeption unseres Campingplatzes wurden wir für die 5-stündige Tour um 8 Uhr morgens von Chris abgeholt. Der Jeep war bereits mit fünf anderen Deutschen besetzt, und praktischerweise konnte Chris gut deutsch sprechen. Während der Fahrt zum Namib Naukluft Park wurden wir auf unterhaltsame, locker-lustige Art auf die kommenden Stunden vorbereitet. Wir erfuhren, dass wir neben der tollen Dünenlandschaft die sogenannten “Little Five” der Namib Wüste aufspüren würden. Dabei handelt es sich um das Wüstenchamäleon, die Seitenwinder-Schlange (Peringuey Otter), die Schaufelmaul-Eidechse, die tanzende Weisse Dame (eine Spinne, die die Dünen hinunter Rad schlägt) und den Palmato Gecko. Beim ersten Halt in den Dünen bekamen wir zunächst das komplexe Ökosystem der Wüste erklärt. Und zwar so anschaulich und gleichzeitig humorvoll, dass wir alles nur so aufsaugten und tatsächlich verstanden.
An Chris Art zu erzählen und zu veranschaulichen spürte man förmlich sein Freude an dem was er tat und seine Leidenschaft für die Sache. Es machte großen Spaß, ihm zuzuhören und Neues zu lernen. So erfuhren wir zum Beispiel, dass die Namib die trockenste Wüste der Welt ist. Hier regnet es fast nie, und die Feuchtigkeit, die die Tiere, welche hier leben, dringend zum Überleben benötigen, wird größtenteils durch den Küstennebel, der ein gutes Stück weit in die Wüste hineinreicht auf die Pflanzen transportiert. Diese so genannten Mikrotropfen werden von den kleinen Lebewesen geschickt aufgenommen, und so können diese existieren.
Das erste Tier, das Chris uns in diesem Zusammenhang zeigte, war ein ca. 2 cm großer, langbeiniger und schwarz glänzender Nebeltrinker-Käfer, ein sogenannter Tok-Tokkie. Das Tierchen ist zu Erstaunlichem fähig: Durch den in die Wüste ziehenden Nebel sammelt es, auf dem Kopf stehend, Feuchtigkeit an seinem Körper, welche dann hinab zum Mund läuft und aufgenommen werden kann. Da der Käfer auf diesem intelligenten Weg eine große Menge Wasser speichert, ist er die perfekte Nahrung für andere Wüstenbewohner, die ihre Wasserration gleichzeitig mit der Mahlzeit zu sich nehmen.
Als nächstes grub Chris eine schlangenartige Eidechse – eine Fitzsimons Burrowing Skink – aus dem Sand aus. Er wusste anscheinend genau, wo er suchen muss. Wie er das machte, war uns ein Rätsel. Das Tier, welches fast wie eine Halskette schimmert, ist vollkommen ungefährlich, und wir durften es alle mal kurz in die Handfläche nehmen und betrachten. Die beinlose Echse fühlt sich glatt an und besitzt die Fähigkeit, durch den Wüstensand zu schwimmen. Kaum hatte Chris sie wieder abgesetzt, hatte sie sich in nullkommanichts im Sand eingegraben und war verschwunden. Wenig später zeigte unser erfahrener Guide auf ein für unsere Laienaugen kaum erkennbares Loch im Dünensand. Dies war das Zuhause einer Radspinne, die man auch “tanzende weiße Dame” nennt. Das nachtaktive Tier webt keine Netze, sondern lebt tief unter dem Sand. Sie besitzt die unglaubliche Fähigkeit bei Gefahren die Dünenhänge in einem Wahnsinnstempo in radschlagender Manier hinunter zu rollen. So ist sie unerreichbar für für Fressfeinde. Unten am Hang angekommen macht sie sich bei Bedrohung größer, indem sie die Vorderbeine anhebt. Dies schaut aus als würde sie tanzen. Chris gelang es, die weiße Spinne hervorzulocken. Prompt demonstrierte sie uns ihren Tanz und wir waren vollkommen fasziniert von dem erstaunlichen Tierchen.
Während der Weiterfahrt beobachtete Chris angestrengt die Gegend und sprang immer mal wieder aus dem Jeep, um wie von wie von der Tarantel gestochen durch die Dünen zu rennen. Beim ersten Mal schauten wir uns noch fragend an, und überlegten, was er da wohl macht. Doch dann kam er freudestrahlend zurück und forderte uns auf, auszusteigen und ihm zu folgen. Er zeigte auf eine Stelle im Wüstensand, wo er offenbar etwas entdeckt hatte. Angestrengt schauten wir hin, sahen aber erstmal gar nichts. Chris stocherte mit dem langen Stock, den er schon die ganze Zeit mit sich führte, ein bisschen im Sand herum, und dann sahen wir sie auch: Eine kleine, sandfarbene Schlange mit flachem, kräftigem Körper, die sofort versuchte, sich durch Seitwärtsbewegungen wieder einzugraben. Wir lernten, dass es sich bei der Schlage um die giftige Zwergpuffotter – auch Peringuey Wüstenotter oder Seitenwinder Schlange genannt – handelt. Die Augen liegen auf der Kopfoberseite, so kann das Tierchen sich komplett im Sand eingraben und nur die Augen und Nasenöffnungen hervorschauen lassen. Chris hob die Schlange vorsichtig mit seinem Stab hoch und setzte sie dann genau so vorsichtig wieder auf dem Boden ab. Sofort begann sie sich seitlich zu winden und mit Hilfe dieser Bewegung ruckzuck wieder einzugraben, so dass man bald nur noch den Kopf sehen konnte. Daher kam also ihr Spitzname. Wir kehrten zum Auto zurück und fuhren ein Stück weiter durch die Dünenlandschaft. Chris scannte in einem fort die Umgebung um die Spuren der Wüstenbewohner nicht zu übersehen.
Schließlich bremste er wieder scharf und rannte eilig – was uns nun nicht mehr wunderte – durch den Sand und gezielt zu einer Stelle, wo er etwas einfing. Neugierig warteten wir seine Rückkehr ab und waren ganz begeistert, als er uns eine Eidechse mitbrachte, die wie ein Minikrokodil an seinem Finger baumelte. Es handelte sich hierbei um eine Anchietas-Wüsteneidechse, ein tagesaktives Tier das bei Bedrohung in den losen Sand untertaucht. Die kleine Echse kann sehr schnell rennen und jagt Insekten. Um während des Tages ihre Füße und den Körper kühl zu halten, hält sie gern im Wechsel jeweils zwei Füße hoch, was ein bisschen wie tanzen ausschaut. Nachdem wir das Tier ausgiebig betrachten konnten, entließ Chris es wieder in den Sand, in den es ohne Umschweife eintauchte und verschwunden war. Als nächstes bekamen wir einen haarigen Dickschwanzskorpion zu sehen. Dieser Skorpion ist tagesaktiv und ausgesprochen giftig, was Chris nicht davon abhielt, ihn über seine Hand laufen zu lassen. Er weiß halt was er tut, aber nachmachen sollte man das keinesfalls.
Wir fuhren tiefer hinein in die Dünen und hielten irgendwann wieder an. Chris deutete auf den Sand, der überall von schwarzen Partikeln durchzogen ist und daher dunkel schimmert. Schaut aus wie Verschmutzung, in Wirklichkeit handelt es sich dabei aber um unglaublich viele Eisenteilchen. Mit einem großen Magneten wurde uns demonstriert, wie tausende dieser Teilchen daran hängen bleiben. Nachher sah der Magnet fast wie eine Bürste aus.
Ganz in der Nähe grub Chris ein Loch in den Sand und holte einen kleinen, durchsichtig schimmernden Gecko mit riesigen, lidlosen schwarzen Augen hervor. Dieses fragil aussehende Tierchen, welches zu den Little Five gehört, wird auch Palmatogecko genannt. Es ist so transparent, dass man tatsächlich ohne Anstrengung das Herz schlagen sehen kann. Die flossenartigen Füßchen funktionieren wie Schneeschuhe und befähigen den Gecko, sich im Sand schnell fortzubewegen und sich hindurch zu graben. Das Tier ist sogar dazu in der Lage, Nebel auf seinen Augen kondensieren zu lassen und das Wasser schließlich mit der langen Zunge abzulecken. Ein unglaubliches Wesen, das es nur in der Namibwüste gibt. Da der kleine Kerl keine Hitze verträgt und sich tagsüber nur einige Zentimeter unter dem Sand wohl fühlt, achtete Chris darauf, ihn im Schatten zu halten, während wir ihn betrachteten. Dann baute er ihm einen kleinen Tunneleingang, ließ ihn dort frei, und wir konnten live miterleben, wie schnell der Gecko sich mit seinen schaufelartigen Füßen eingrub.
Jetzt fehlte eigentlich nur noch das Wüstenchamäleon zum perfekten Tag, aber das hielt sich erstmal gut versteckt. Nicht selten graben diese Tiere sich Löcher, in denen sie sich während der Mittagshitze verstecken. Wir hatten schon ein bisschen Angst, keines mehr zu Gesicht zu bekommen, aber Chris wäre nicht Chris, wenn er keines für uns aufgespürt hätte. Er hatte einfach genau das richtige Gespür für die Tiere und jede Menge Erfahrung im Spuren lesen. Auf einer Ebene, neben einem trockenen Busch wurde er schließlich fündig. Wir hätten das Tier mit absoluter Sicherheit nicht entdeckt und konnten es auch erst auf den zweiten Blick am Boden ausmachen, so sehr war es eins mit seiner Umgebung.
Chris packte eine Dose mit lebendigen Maden und Würmern aus und bot dem Chamäleon aus erstaunlicher Entfernung eine fette Made an. Schwups, schnellte auch schon die unfassbar lange Zunge hervor und schnappte sich das Insekt. Im selben Moment lief das bisher dunkle und unauffällige Tier hell an. Wir staunten nicht schlecht und hielten eifrig die Kameras bereit, als Chris eine weitere Made hervorholte. Dieses Mal gelang es uns, die ganze Aktion auf Bild und Film festzuhalten. Wir erfuhren, dass sich die Farbe der Wüstenchamäleons zur Wärmeregulierung aber auch abhängig von der Laune ändert. Gegen Morgen, wenn es so langsam warm wird, sind die Tiere in der Regel schwarz, um die Sonne besser aufnehmen zu können und sich so aufzuheizen. Dies tun sie, um eine perfekte Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Jagd zu schaffen. Die schwarze Färbung nehmen sie allerdings auch an, wenn sie sich z.B. bedroht fühlen und schlechter Stimmung sind. Wird es zu heiß und hat das Chamäleon ausreichend Wärme aufgetankt, färbt es sich hellgrün um die Sonne zu reflektieren. Bei seinem Beutefang ist unserem kleinen Freund hier also offensichtlich warm geworden und er hat gute Laune bekommen, schlussfolgerten wir. Wir bekamen noch ein bisschen Zeit, um das Tierchen zu beobachten. Lustig schaute es aus, als es sich wie bei einem Tanz in Slow-Motion vor und zurück bewegte. Man kann sich kaum vorstellen, dass diese Chamäleonart die schnellste der Welt ist.
Leider konnten wir nicht ewig bleiben, denn die Tour war ja noch nicht zu Ende. In flottem Tempo brachte der Jeep uns über die Dünen. An einem tollen Aussichtspunkt mit weitem Blick über die Dünenlandschaft bis hin zum Meer machten wir noch eine kurze Rast und bekamen zum Ausklang des erlebnisreichen Programms ein Kaltgetränk zur Erfrischung. Danach ging es etwas gemächlicher zurück nach Swakopmund, wo wir bei unserem Campingplatz abgesetzt wurden und uns herzlich von Chris und den anderen Mitreisenden verabschiedeten. Fünf Stunden waren nun vergangen, und wir waren in dieser wenigen Zeit um viele Erfahrungen reicher geworden. Jedem, der wie wir Swakopmund besucht und etwas Zeit mitbringt, können wir diese Tour nur wärmstens ans Herz legen. Man erlebt einfach eine ganz neue Welt, die man auf eigene Faust wohl niemals kennenlernen würde.
Den Nachmittag hatten wir uns ganz bewusst frei gehalten, um das Küstenstädtchen auf eigene Faust noch ein bisschen zu erforschen. Da das Alte Brücke Resort so schön zentrumsnah liegt, zogen wir zu Fuß los und bummelten durch die Sträßchen, von denen viele noch deutsche Namen haben. Unter anderem sahen wir das alte Amtsgericht, das Hohenzollernhaus und das Woermannshaus. Ins Café Anton kehrten wir schließlich zu einer kleinen Stärkung ein. Es gab die verschiedensten Kuchen und Sahnetorten. Wir entschieden uns für ein Stück Apfelstrudel, der ausgezeichnet schmeckte. Auf einer Art Flohmarkt stöberten wir später noch herum und erwarben ein handgeschnitztes Holzerdmännchen. Am Abend aßen wir deftige Hausmannskost in Kückie’s Pub und bummelten dann ganz gemütlich zurück zu unserem Campingplatz.
Gefahren: 0km
Stellplatz: Alte Brücke Camping