3. Safaritag: Fahrt zum Amboseli Nationalpark
Morgens gab es zunächst ein reichhaltiges Frühstücksbuffet. Von dem Essen im Severin Camp waren wir alles in allem wirklich sehr begeistert. Nach der Stärkung checkten wir aus und verstauten unsere Klamotten im Jeep. Dann ging es noch eine Weile durch den Tsavo-West. Wir sahen eine winzige Giraffe, die erschrocken vor uns davon galoppierte, zwei Tüpfelhyänen, Kuhantilopen, Gnus und Straußen. Kurz vor dem Parkausgang kamen wir an einem Lavafeld vorbei. Hier hat es vor einigen hundert Jahren einen Vulkanausbruch gegeben. Zurück blieb ein riesiges Gebiet mit schwarzen Lavasteinen.
Nach und nach wurde die Landschaft von Bäumen und Sträuchern zurück erobert und bot zahlreiche tolle Fotomotive. Die Fahrt ging weiter zum Ausgangstor des Tsavo-West. Dort hatten sich bereits einige Jeeps versammelt. Den Streckenabschnitt durch die Wildnis zum Amboseli Nationalpark darf man aus Sicherheitsgründen nur in Kolonne und mit bewaffnetem Geleitschutz fahren, denn dort hat es schon des öfteren Überfälle auf Touristen gegeben. Zudem ist die Gegend Massailand, und allzu häufige Störungen durch passierende Autos sind unerwünscht. Man darf auf der Strecke weder fotografieren noch filmen, da das Land und seine Bewohner wohl sonst entweiht werden. Die Landschaft war extrem trocken und karg. Im Vorbeifahren sahen wir das ein oder andere Massaidorf, aber viel erkennen konnte man leider nicht. Sehr unangenehm war, dass es in der Gegend viele Tsetsefliegen gab. Sobald wir ein Fester öffneten – was zeitweise wirklich notwendig war, da es in dem Jeep keine Klimaanlage gab – strömten die Viecher ins Fahrzeug und versuchten uns zu stechen. Ich wurde richtig panisch, hatte ich doch im Biologieunterricht in der Schule aufgepasst und wusste von der Schlafkrankheit, die die blutrünstigen Insekten übertragen können. Wild schlug ich mit meinem Safarihut um mich, um die großen Biester, die ein wenig an Pferdebremsen erinnern, zu vertreiben. Nicolas lachte sich halb tot über mich. So was hat er wahrscheinlich auch noch nie zu sehen bekommen. Nachdem der letzte, extrem schlechte Straßenabschnitt geschafft war, erreichten wir das Kimana Gate zum Amboseli Nationalpark. Der Park hat eine Fläche von 392 Quadratkilometern und liegt direkt an der Grenze zu Tansania. Er ist besonders berühmt für seine große Elefantenpopulation. Die Landschaft ist geprägt von grauem Staub; es gibt Akazienwälder, Sümpfe und offene Savannen.
Schon auf den ersten Metern konnten wir erkennen, dass der Amboseli Park noch wesentlich trockener war, als die beiden Tsavos. Überall wirbelten Windhosen den Staub meterhoch in die flirrende Luft. Wir erfuhren, dass hier schon drei Jahre lang nicht genug Regen runtergekommen ist und sämtliche Flüsse und Wasserlöcher ausgetrocknet sind. Dadurch hat ein dramatisches Tiersterben begonnen. Ich schluckte und wappnete mich innerlich schon mal.
Zunächst war noch alles ganz okay. Natürlich erschreckte uns die außergewöhnliche Kargheit der Landschaft, und wir konnten uns nur zu gut vorstellen, dass das Überleben für die Tiere hier eine Herausforderung ist. Aber erstmal sahen wir nur lebendige Tiere, und diese konnte man aufgrund der nicht vorhandenen Vegetation problemlos entdecken und beobachten. Zebras und Gazellen fraßen die allerletzten grünen Grashalme, die sie finden konnten. Wir sahen große Elefantenherden mit ganz jungen Kälbern, die auf ihrer Suche nach Wasser unermüdlich über die staubige Ebene stapften. Nachdenklich fragten wir uns, ob die Kälber überhaupt eine Überlebenschance haben. Die Naturschutz-organisation „Amboseli Trust for Elephants“ jedenfalls berichtete, dass im Jahr 2009 schon ca. 50 Kälber an den Folgen der Dürre gestorben waren. Es sei zu befürchten, dass fast alle in diesem Jahr geborenen Elefanten sterben würden, da bei den Müttern aufgrund des Nahrungs- und Wassermangels die Milch versiege. Eine wirklich sehr deprimierende Prognose…
Auf dem Weg zu unserer Lodge machten wir einen Abstecher zu einem Massaidorf, das gegen ein Eintrittsgeld von Touristen besucht werden kann. Wir wurden mit einem traditionellen Tanz begrüßt, bei dem die Massai Männer zu einem monotonen Gesang auf der Stelle so hoch wie möglich sprangen, um ihre Stärke zu beweisen. Danach wurden wir in das Dorf geleitet, in dem ein buntes Treiben herrschte. Überall saßen oder liefen Männer und Frauen in roten und lilafarbenen Gewändern herum, Kinder bettelten uns an, und mittendrin wuselten spindeldürre Ziegen. Die Frauen trugen traditionellen Schmuck und hatten – genau wie die Männer – überwiegend eingeschnittene und geweitete Ohrlöcher. Die einfachen Schuhe waren aus alten Reifen gefertigt. Es gab zahlreiche, in einem Kreis angeordnete Rundhütten aus Kuhdung. Nach außen hin war das Dorf durch eine Dornenhecke geschützt. Ein Massai zeigte uns, wie die Hütten von innen aussehen und demonstrierte, wie ein Feuer entfacht wird. Nach diesem kurzen Einblick wurden wir zum Ausgang gebracht, wo sich uns ein im Halbkreis aufgebauter Souvenir Basar eröffnete. Es waren wirklich viele Stände, und die Massai, die für den Verkauf zuständig waren, überfielen uns wie die Heuschrecken. Das war alles andere als schön und wirklich sehr anstrengend. Ich wäre am liebsten sofort geflohen. Doch wir schritten tapfer alle Stände ab, und Frank ließ sich ein paar Kleinigkeiten zu viel aufschwatzen. Zum Schluss hatten wir die Arme voll mit einen geschnitzten Besteck, zwei Schlagstöcken, einem hölzernen Medizinmann und einer Lederkette mit Elefantenzahn-Anhänger. Ich frage mich heute noch, was Frank mit den Schlagstöcken anfangen wollte 😉
Schließlich ging die Fahrt weiter zur Ol Tukai Lodge. Auf diesen wenigen Kilometern sahen wir unzählige Kadaver verendeter Zebras und Gnus, an denen sich Geier und Marabus weideten. Der Gestank, der in der Luft hing, war unbeschreiblich. Viele Tiere lagen abgemagert und resigniert herum, zu schwach für eine Wanderung zur nächsten Wasserstelle. Es war wirklich schockierend und extrem traurig. An den Überresten machten sich Geier, Marabus und Hyänen zu schaffen. Diese Aasfresser lebten momentan ironischerweise im Schlaraffenland.
Als wir die Ol Tukai Lodge erreichten, waren wir überrascht, wie grün es in der großen Gartenanlage war. Hier wurde der Boden offensichtlich gut gewässert, damit alles schön grünte und blühte. Wenn ich an die verhungerten und verdursteten Tiere jenseits des Zaunes in der trockenen Savanne dachte, drehte sich mir der Magen um. Dafür fehlte mir jegliches Verständnis, und ich fühlte mich sogleich unwohl. Die 80 Zimmer der Lodge sind in Chalets untergebracht. Unser Zimmer war wirklich hübsch, doch ich konnte mich nicht so recht an dem Luxus erfreuen. Das Mittagessen in Buffetform war reichhaltig und qualitativ okay, aber Hunger hatte ich überhaupt nicht, da mir immer noch der Verwesungsgeruch in der Nase hing.
Die Nachmittagspirschfahrt hätte ich am liebsten ausgelassen, da es mir davor graute, weitere Kadaver zu sehen und zu riechen. Aber da ich auch nichts verpassen wollte, fuhr ich natürlich doch mit, und das sollte sich auch tatsächlich auszahlen. Zunächst fuhren wir zu dem großen Sumpfgebiet, das sich direkt an die Ol Tukai Lodge anschließt. Dort gab es noch ausreichend Wasser und viel Grün, was jede Menge Tiere anzog. Mitten im Sumpf sahen wir Elefanten, Büffel und Flusspferde. Am Ufer tummelten sich Zebras, klapperdürre Gnus, jede Menge Wasservögel und ein mindestens zehn Tiere zählendes Löwenrudel. Es bestand aus ein paar Löwinnen und Halbstarken. Ein Elefant mit einem etwas älteren Kalb scheuchte die immer wieder näher pirschenden Junglöwen wiederholt weg, indem er ohrenschlackernd hinter ihnen her eilte. Es sah lustig aus, wie die Löwen Reißaus nahmen und sich wenig später wieder Stück für Stück näherten.
Wenig später passierte etwas, womit wohl keiner von uns gerechnet hätte: Während die anderen noch das Rudel beobachteten, erblickte ich einen männlichen Löwen, der gemächlich hinter unserem Jeep angetrottet kam. Er visierte ein Gnu an, dass nur wenige Meter von uns entfernt auf dem staubigen Boden lag. Während ich noch flüsterte „There is a male lion!“ nahm der Pascha Anlauf und sprintete auf das immer noch liegende Gnu zu. Die Antilope war offensichtlich sehr geschwächt und kam erst im allerletzten Moment halb auf die Vorderbeine. Aber da hatte der Löwe sie schon erreicht, packte sie mit seinen Pranken und ging mit ihr, eine Staubwolke aufwirbelnd, zu Boden. Ich war wie paralysiert, und auch die anderen schauten wie hypnotisiert dem ungleichen Kampf zu. Sehr schnell hatte der Pascha das wehrlose Tier überwältigt und mit einem gezielten Kehlbiss getötet. Eine Weile zuckte es noch, was mich schier wahnsinnig machte, doch dann blieb es reglos liegen, und der Löwe ließ von ihm ab. Eine Weile lag er einfach nur da, eine Pranke lässig über den Körper des Gnus gelegt. Dann erhob er sich gemächlich, betrachtete seine Beute und begann, sie am Hinterleib zu öffnen. Er leckte, nagte und zerrte an dem leblosen Körper, bis er schließlich das Fleisch freigelegt hatte und zu Fressen begann.
Leicht zitternd ließ ich mich in meinen Sitz plumpsen und starrte die Videokamera an, mit der ich das ganze Szenario gefilmt hatte. Nicolas grinste über mein leicht schockiertes Gesicht. Er hatte mit Sicherheit auch nicht den ersten Kill live miterlebt. Ich schaltete ja schon im Fernsehen in ein anderes Programm, wenn es in einer Tierreportage zu so einer Szene kam. Aber ich musste zugeben, dass ich nun nicht nur abgestoßen sondern auch fasziniert war. Der Kreislauf des Lebens ist nunmal so.
Schließlich fuhren wir weiter, wollten aber später noch mal hier vorbeikommen. Nicolas stöberte einen Warzenschweinbau auf, in dem eine Hyäne ihren Nachwuchs aufzog. Neben dem Muttertier entdeckten wir drei Hyänenbabys, die eifrig miteinander rumtollten. Sie jagten einander rund um den Bau, käbbelten und bissen sich. Zwischendurch fielen sie regelrecht über ihre Mutter her und bissen ihr kräftig in die Ohren. Die Alte hatte eine Engelsgeduld und ließ ihre ungezogenen, wilden Bälger einfach gewähren. Ich hätte niemals gedacht, dass Hyänen so drollig sein können. Nach den weniger schönen Szenen, die wir heute schon erlebt hatten, war das eine richtige Wohltat. Die kleinen Hyänen brachten uns mit ihrer rotzfrechen Art zum lachen, und am liebsten wären wir hier gar nicht mehr weggefahren.
Doch so langsam bahnte sich der Sonnenuntergang an, und vor Einbruch der Dunkelheit wollten wir noch mal bei dem Gnu-Kadaver vorbeischauen. Auf dem Weg dorthin sahen wir eine riesige Büffelherde durch die weite Savanne ziehen. Die Sonne färbte den Himmel bereits rosa und orange, und einzelne Strahlen bahnten sich den Weg durch die Wolken. Das tote Gnu wurde nun von vier Löwinnen umringt, die sich genüsslich den Bauch voll schlugen. Die Halbstarken kamen, da sie die Rangniedrigsten sind, erst danach zum Zuge.
Als es immer dunkler wurde, fuhren wir zurück zur Lodge. Nachdem wir uns den Staub vom Körper gewaschen hatten, ging es ins Restaurant zum Abendessen und wenig später ins Bett.
Übernachtung: Ol Tukai Lodge, Amboseli Nationalpark